Das heutige Krankenhaussystem ist einem Spannungsfeld von demographischen Veränderungen, medizinischen Fortschritt und wirtschaftlichen Anforderungen ausgesetzt. Für die Entscheider bedeuten diese Anforderungen, eine moderne medizinische Versorgung, bessere Pflege und Kostensenkungen sicherzustellen. In meinem Seminar diskutiere ich anfangs über den Spagat zwischen ökonomischen Anforderungen und der ärztlichen Berufsordnung, welche die Gesundheit des Patienten als das oberste Gebot definiert. Aber auch der Deutsche Ethik Rat diskutiert diese systemische Veränderung [1].

Wie ich es in diesem Blog öfters aufzeige und wie es Ihnen als Leser sicherlich auch aus der eigenen Praxis bewusst ist, werden die oben beschriebenen Veränderungen direkt auf eine hohe Arbeitsverdichtung für das Ärzte- und Pflegepersonal umgelegt. Dies wird von den Betroffenen entsprechend negativ erlebt und führt mittlerweile auch zu einer starken gesundheitlichen Gefährdung des Personals [2,3,4,5].

Wie steht es aber um den Nachwuchs?
Im Seminar sowie meinen Coachingsessions erlebe ich es immer wieder, wie junge Oberärzte und Assistenzärzte mir von der hohen Belastung und deren psychosozialen Auswirkungen berichten. Das schlimmste scheint das Gefühl des Alleinseins zu sein. Dies bezieht sich u.a. auf einen Generationskonflikt, der auch in anderen Branchen existiert, im Krankenhauswesen aufgrund seiner starken Hierarchie aber verstärkt in Erscheinung tritt. Gemeint ist damit das mangelnde Verständnis älterer Kollegen und Vorgesetzter. Da darf sich ein junger, überarbeiteter Assistenzarzt schonmal Sprüche wie „Früher hatten wir auch 24 Stunden Schichten und wir haben uns nicht beschwert“ gefallen lassen. Dass diese „Argumente“ und Vergleiche in der heutigen Zeit nicht mehr anzuwenden sind (siehe einleitender Abschnitt) wird sicherlich jedem bewusst, sobald er darüber nachdenkt. Die Folgen sind jedoch besorgniserregend.

Abgesehen vom fachlichen Erfahrungslevel, der zeitlichen Belastung und der großen Verantwortung für die Gesundheit von Menschen gibt es eine Entwicklung, die als solches eigentlich nicht zum Arzt- und Pflegeberuf dazugehören sollte, aber einen gehörigen Einfluss auf die individuelle Belastung hat: Die zunehmende Aggressivität von Patienten [7,8,9,10].

In einer US-amerikanischen Untersuchung zeigten 45% der jungen Ärzte Symptome von Burn-out an [11]. So wundert es nicht, dass eine aktuelle Studie von 2019 eine erhebliche Gesundheitsgefährdung junger Ärzte in deutschen Krankenhäusern feststellt und diese mit den aktuellen Arbeitsbedingungen in Verbindungen bringen kann [12].

Da Burn-out einer der mittlerweile meist genannten gesundheitlichen Folgen bei Ärzten ist, möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass die wirtschaftlichen Folgen ebenfalls mehrere Dimensionen umfassen. Die National Academy of Medicine hat in einer Untersuchung von 2017 festgestellt, dass die Qualität, Sicherheit und allgemeine Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems nachweislich bei Burn-out Symptomen sinken [13].

Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Und dieser ist auch nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) VII definiert. Arbeitgeber sind in diesem angehalten „mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten“ [14]. Und dazu gehören explizit auch psychische Gefahren [15].

Was kann also getan werden? Mein Résumé im Blogeintrag: Marburger Bund Monitor 2019 wird durch die Teilnehmer der oben bereits genannten Studie bestätigt. Diese haben in Summe eine persönliche, strukturierte Weiterbildungsmöglichkeit auf Platz 2, nach „Verringerung des Dokumentationsaufwands“, als Verbesserungsbedarf gewählt [6]. Beide Faktoren sind kein Wunschdenken und sind mit vorhandenen Mitteln zu bewältigen.

 


[1] Deutscher Ethikrat (2016) Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus

[2] Beerheide R (2017) Umfrage des Hartmannbundes: Junge Ärzte hadern mit Klinikalltag. Dtsch Arztebl Int 114:399–400

[3] Marburger Bund (2017) MB-Monitor 2017. www.marburger-bund.de/bundesverband/themen/marburger-bund-umfragen/mb-monitor-2017. Zugegriffen: 16. Juni 2019

[4] Gröger A‑C (2014) Eine Nachtschicht als Pfleger. Ärzte Zeitung. https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/pflege/article/875428/25-jahren-heute-nachtschicht-pfleger.html. Zugegriffen: 16. Juni 2019

[5] Mitschke, M. Das Paradoxon des heilenden aber ungesund lebenden Arztes. https://zenmedic.de/das-paradoxon-des-heilenden-aber-ungesund-lebenden-arztes/. Zugegriffen: 01. Februar 2020

[6] Raspe, M., Koch, P., Zilezinski, M. et al. Arbeitsbedingungen und Gesundheitszustand junger Ärzte und professionell Pflegender in deutschen Krankenhäusern. Bundesgesundheitsblatt 63, 113–121 (2020). https://doi.org/10.1007/s00103-019-03057-y

[7] Schablon A, Wendeler D, Kozak A, Nienhaus A, Steinke S (2018) Prevalence and consequences of aggression and violence towards nursing and care staff in Germany—a survey. Int J Environ Res Public Health 15(6):1274

[8] Schablon A, Zeh A, Wendeler D et al (2012) Frequency and consequences of violence and aggression towards employees in the German healthcare and welfare system: a cross-sectional study.

[9] Lindner T, Joachim R, Bieberstein S, Schiffer H, Möckel M, Searle J (2015) Aggressives und herausforderndes Verhalten gegenüber dem KlinikpersonalAggressive and provocative behaviour towards medical staff. Notfall Rettungsmed 18:195–20

[10] Vorderwulbecke F, Feistle M, Mehring M, Schneider A, Linde K (2015) Aggression and violence against primary care physicians—a nationwide questionnaire survey. Deutsches Ärzteblatt Int. 112:159–16

[11] Dyrbye L, Burke S, Hardeman R et al (2018) Association of Clinical Specialty With Symptoms of Burnout and Career Choice Regret Among US Resident Physicians. JAMA 320:1114–1130

[12] Webseite der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (2019) Psyche und Gesundheit – Wie Sie mit psychischer Belastung im Beruf umgehen können. www.bgw-online.de/DE/Arbeitssicherheit-Gesundheitsschutz/Psyche-und-Gesundheit/Psyche-und-Gesundheit_node.html. Zugegriffen: 16. Juni 2019

[13] Dyrbye, L.N., T.D. Shanafelt, C.A. Sinsky, P.F. Cipriano, J. Bhatt, A. Ommaya, C.P. West, and D. Meyers. 2017. Burnout among health care professionals: A call to explore and address this underrecognized threat to safe, high-quality care. NAM Perspectives. Discussion Paper, National Academy of Medicine, Washington, DC.

[14] Sozialgesetzbuch online (2019) § 1 SGB VII Prävention, Rehabilitation, Entschädigung. www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbvii/1.html. Zugegriffen: 02. Februar 2020

[15] Webseite der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (2019) Psyche und Gesundheit – Wie Sie mit psychischer Belastung im Beruf umgehen können. www.bgw-online.de/DE/Arbeitssicherheit-Gesundheitsschutz/Psyche-und-Gesundheit/Psyche-und-Gesundheit_node.html. Zugegriffen: 02. Februar 2020